Das war nicht immer so. Als junger Mann habe ich an Gott gezweifelt. Er hatte mich einfach enttäuscht. Eine für mich überaus wichtige Bitte hatte er nicht erhört. Ob es überhaupt einen gab, der mein Gebet hören konnte?
Ich habe Gott in Frage gestellt, war aber nicht sonderlich daran interessiert, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Es ist leicht, mit einer unbeantworteten Frage zu leben. Man beschäftigt sich mit anderen spannenden Dingen und sucht erst einmal Lösungen für vordergründige Probleme. Schließlich muss im Alltag so manches erledigt, geklärt und bewältigt werden.
Im Tiefsten meiner Seele war mir allerdings immer bewusst, dass ich die Frage nach Gott für mein Leben beantworten musste.
Bei der Beerdigung eines guten Freundes brachen weit reichende Fragen auf: War das für ihn nun alles? Gibt es vielleicht doch eine Seele, die noch mehr erlebt, oder ist mit dem Tod wirklich das Ende da? Ist das Leben bloß eine ziellose, vorübergehende Episode im Weltall?
Folgender Gedanke hat mir weitergeholfen: Wenn das mit der zufälligen Entwicklung einer ersten lebenden Zelle stimmte und mit ihrer über Millionen Jahre andauernden Fortentwicklung und Ausdifferenzierung in alle Tiergruppen bis zur Evolution des Menschen, dann waren wir – zumindest auf dieser Erde – die am höchsten entwickelten Lebewesen. Aber konnten wir bei den vielen ungeklärten Fragen, vor denen wir stehen, und der Begrenztheit unseres Denkhorizonts wirklich die höchste Stufe des Lebendigen sein? Musste es nicht doch ein höheres Wesen geben, das zumindest die Evolution steuerte? Dass sich beim „Kampf ums Dasein“ die Stärksten durchsetzen und ihr Erbgut weitergeben, ist einsichtig, aber damit wird die Frage nach dem Anfangsentwurf einer Tiergattung nicht beantwortet. Steckte dahinter vielleicht einer mit kreativen Ideen, einer, den man Gott nennen konnte? Hatte der Philosoph Immanuel Kant nicht auch das Empfinden, vor einem Höheren zu stehen, als er schrieb: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht … Der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“ Musste da nicht einer sein, vor dem man nur in Ehrfurcht stehen konnte?
Dieser Gedankengang war für mich der Anlass, ernsthaft nach Gott zu fragen und Antworten zu suchen.
Eine kleine Geschichte, die ich irgendwo las, gab mir erste Impulse: Eine Gruppe von Wissenschaftlern, die am Rande der Sahara forschten, hatte einen Beduinen als Führer angestellt. Er war Muslim und betete fünfmal am Tag zu Allah. Bald fingen die Wissenschaftler an, ihm spöttische Fragen zu stellen: „Hast du Allah schon einmal berührt?“ – „Nein.“ – „Hast du Allah schon einmal gesehen?“ – „Nein.“ – „Hast du Allah denn wenigsten schon gehört?“ – „Nein.“ – „Wenn du ihn nicht gesehen oder gehört oder angefasst hast, woher weißt du, dass es ihn überhaupt gibt?“ Der Beduine ließ sich nicht beirren und betete auch weiterhin.
Eines Morgens gab es im Lager große Aufregung. Zwischen den Zelten waren die Spuren eines ausgewachsenen Löwen zu sehen. Kaum auszudenken! Nur eine dünne Zeltplane war zwischen Mensch und Raubkatze gewesen. Der Beduine hörte eine Weile zu, dann fragte er: „Habt ihr den Löwen angefasst oder gesehen oder gehört? Nach eurer Logik gibt es ihn doch gar nicht.“ Und dann formulierte er den für mich so wichtigen Satz: „Ich sehe in der Natur überall die Spuren Allahs. Er ist genauso wirklich wie der Löwe in der letzten Nacht.“
Wo konnte ich die Spuren Gottes finden? Hatte Kant sie im Universum gefunden? Die unfassbare Weite und die Gesetzmäßigkeit der Sonnenbahnen erfüllten ihn mit Ehrfurcht. Kant zeigte in seinem Buch „Kritik der reinen Vernunft“, dass Gott mit den Denkmöglichkeiten des Menschen nicht zu beweisen ist. In seinem Buch „Kritik der praktischen Vernunft“ schrieb er aber dann: „Es ist moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen.“
Mir war bekannt, dass die Astrophysiker viele unbeantwortete Fragen bearbeiten: Woher kommt die Energie und die Materie, die Voraussetzungen für den sogenannten Urknall sind? An welche Materie ist die Gravitationskraft gebunden? (Die helle sichtbare reicht nicht aus.) Gibt es auch dunkle Materie? Wieso gibt es gegenläufige Drehrichtungen bei den Gestirnen? Glaube hat immer mit abwägendem Beurteilen, also mit Vernunft zu tun. Jeder Mensch glaubt irgendetwas oder irgendwem, er vertraut einer Information und einem Informanten. Auch die Evolutionstheorie muss geglaubt werden.
Für mich ist es viel plausibler, in den Weiten des Universums wie auch in meinem eigenen Körper die „Genialität des Schöpfers“ zu erkennen. Ich brauche gedanklich keine Klimmzüge mehr zu machen, um die wunderbaren Funktionen des Lebens ohne Gott zu erklären. Meine innere Offenheit, die logischste und beste Lösung zuzulassen, nämlich die: Es gibt einen Gott!, brachte eine zufriedenstellende Ordnung in meine Vorstellungen. Ein Schöpfer, der Schmetterlinge und Rosen gewollt hat, lässt die Erde nicht sinnlos untergehen. Er hat auch für die Zukunft geplant. Irgendwie ist das für mich sehr beruhigend. Ein Leben ohne Gott ist ein Dasein vor dem Tod. Ein Leben mit Gott ist ein Dasein vor dem ewigen Leben.
Das heißt nicht, dass alle Fragen beantwortet sind, wenn wir Gott als Urheber der Natur erkennen. Es gibt dort nicht nur Ordnung, Schönheit und Zweckmäßigkeit. Es gibt auch Zerstörung und Kampf. Ein Tier frisst das andere. Tier und Mensch werden alt, schwach und sterben; Pflanzen welken. Warum ist das so? Jesus sagt im „Vaterunser“ zu dieser Frage einen wichtigen Satz, den wir uns später genauer ansehen werden.