Leider doch kein Traum…

Aber dann löst sich die Starre. Wir müssen nach und nach erkennen, dass wir nicht träumen. Das Schreckliche, das uns so entsetzt verstummen ließ, ist real. Als unsere Tochter am Telefon sagte: „Mama, ich hab‘ Krebs!“, war ich zunächst wie vom Blitz getroffen. Ich hätte Berit gern getröstet, aber was sie da sagte, war so unwahrscheinlich, dass ich zunächst nicht bereit war, es zu glauben.

Auch Berit nahm diese Diagnose anfangs nicht ernst. Sie beteuerte: „Ein winziger Tumor, er wird entfernt, und das war’s dann schon.“ Sie brauchte mehrere Wochen, bis sie akzeptierte, dass dieser kleine Knoten gar nicht so harmlos und klein war. Ein halbes Jahr Therapie war nötig, viele schmerzhafte Bestrahlungen, viele Chemos musste sie über sich ergehen lassen. Dann verkündete sie voller Zuversicht: „Der Krebs ist besiegt. Ich bin wieder gesund.“

Ein Jahr später wurden neue Tumore gefunden. Dieses Mal warnte der Onkologe: „Ihre Tochter könnte jederzeit an einer Embolie sterben. Wir wissen nicht, ob sie noch Tage, Wochen oder Monate zu leben hat.“ Doch Berit wollte nichts davon hören. „Ich werde über 80, das verspreche ich euch.“

Barmherzige Lügen?

Ich hätte das so gern geglaubt. Aber ich ahnte, dass sie viel kränker war, als sie es sich eingestehen wollte. Was macht man als Mutter? Konfrontiere ich mein geliebtes Kind mit der ungeschminkten Wahrheit? Soll ich sie zwingen, die Wirklichkeit zu sehen? Oder ist es barmherziger, zu schweigen und abzuwarten? Ich wusste es nicht.

Ich war hin- und hergerissen. Einerseits wollte ich meine Tochter schützen und diese schlimme Diagnose von ihr fernhalten. Andererseits sollte sie sich keinen Illusionen hingeben und hinterher bitter enttäuscht werden. Ich war ratlos und fragte die Ärzte. Der eine meinte: „Wahrheit pur, das ist das einzig Richtige.“ Der zweite hob den Finger und warnte: „Vorsicht! Mit einer solch harten Diagnose rauben Sie Ihrer Tochter den Willen zum Leben und den Mut zum Kämpfen.“ Der dritte massierte sein Kinn und meinte: „Keiner kann voraussagen, was passieren wird.“ Alle drei hatten recht, irgendwie, und ich war genauso schlau wie zuvor.