Das Heiligtum ist ein Schlüssel zum Verständnis der Offenbarung!
Johannes erhält seine Vision am „Tag des Herrn“ (wörtlich: „dem Herrn gehörenden Tag“). Viele Christen verstehen darunter den Sonntag. Doch in der Bibel wird der erste Tag der Woche niemals „Tag des Herrn“ genannt. Diese Bezeichnung erhielt der Sonntag erst Ende des zweiten Jh. n. Chr. durch die Kirchenväter. In der Bibel wird nur der Tag des Gericht (Jesaja 13,6-11) und der Sabbat (2. Mose 20,8-11) „Tag des Herrn“ genannt. Der Textzusammenhang und die wörtliche Übersetzung von Vers 10 legen den Schluss nahe, dass es sich hier um den Sabbat und nicht um den Gerichtstag handelt. Der Tag der Anbetung wird nämlich zusammen mit dem Ort der Anbetung erwähnt.
Offensichtlich befindet sich Johannes in dieser Vision am Sabbat – dem Tag des Gottesdienstes – im Heiligtum vor dem Rauchopferaltar. Als er sich nämlich umdreht, sieht er Jesus mitten unter den sieben goldenen Leuchtern. Der siebenarmige Leuchter – auch „Menora“ genannt – stand im israelitischen Tempel kurz hinter dem Eingang des ersten Raums. Der Rauchopferaltar war dagegen am Vorhang aufgestellt, der diesen Raum vom Allerheiligsten trennte. An diesem Altar betete der diensthabende Priester gewöhnlich für das Volk. Weil der Tempel im Jahre 70 n. Chr. von den Römern zerstört worden war, befindet sich Johannes offensichtlich während der Vision im himmlischen Heiligtum (vgl. Offenbarung 15,5). Dort betet er den Schöpfer am Gedenktag der Schöpfung an.
Viele Christen haben mit der Auslegung der Offenbarung Probleme, weil sie sich nicht mit dem israelitischen Heiligtum auskennen. Das Heiligtum oder der Tempel stellt nämlich mit seinen religiösen Jahresfesten schon seit der Zeit des Alten Testamentes symbolisch den Erlösungsplan dar. Auch in der Offenbarung geht alles vom himmlischen Tempel und besonders von der Bundeslade (ein Bild für den Thron Gottes) aus oder wird von dort aus gelenkt. Deshalb soll das Heiligtum an dieser Stelle kurz beschrieben werden.
Mose sollte das Heiligtum gemäß dem himmlischen Vorbild errichten (Hebräer 8,1.2.5). Weil das Volk Israel anfangs in der Wüste Sinai lebte, baute es nach Gottes Anweisungen ein zerleg- und tragbares Heiligtum, die sogenannte Stiftshütte. Sie war später Vorbild für den jüdischen Tempel. Ihr Eingang lag (im Gegensatz zu alten christlichen Kirchen) im Osten, sodass Priester und Volk in Richtung Westen beteten – ein deutliches Zeichen der Abkehr vom Sonnenkult. Die Stiftshütte bestand aus vergoldetem Holz und hatte ein Dach aus Teppichen und Fellen (2 Mose 26,1-30). Sie besaß zwei Abteilungen: das Heilige und das Allerheiligste. Sie wurden durch einen Vorhang voneinander getrennt (2. Mose 26,31-33). Das Heilige war zehn Meter lang und fünf Meter breit.
Das Heilige: Vor dem Vorhang zum Allerheiligsten befand sich der goldene Rauchopferaltar. Morgens und abends wurde dort Weihrauch verbrannt (2. Mose 30,1-9). Auf der Nordseite stand der Schaubrottisch (2. Mose 40,22.23; 25,23.24). Jeden Sabbat legten die Priester zwölf neue Fladenbrote auf diesen Tisch. Die Alten wurden von ihnen gegessen (3. Mose 24,5-9). Auf der Südseite befand sich der siebenarmige Leuchter (2. Mose 26,35; 25,31.37), dessen Öllampen ständig brannten (3. Mose 24,2-4).
Das Allerheiligste hatte eine Würfelform von fünf Meter Länge, Breite und Höhe. Hier befand sich die 1,25 Meter lange Bundeslade. Sie bestand aus vergoldetem Akazienholz und war mit einer goldenen Platte bedeckt. Diese nannte man „Gnadenstuhl“ oder „Sühnedeckel“. Über ihr befanden sich zwei goldene Cherubim (2. Mose 25,1-22). In der Lade selbst lagen die Zehn Gebote. Gott hatte sie mit eigener Hand geschrieben (2. Mose 31,18). Die Bundeslade war ein Symbol für Gottes Thron: Der unsichtbare Gott wird von Engeln angebetet. Seine Herrschaft beruht auf Gnade (Versöhnung) und Gerechtigkeit (Gesetz, Gehorsam).
Um die Stiftshütte zog sich ein Zaun von 50 Meter Länge, 25 Meter Breite und 2,5 Meter Höhe und bildete einen Vorhof (2. Mose 27,9-18). Hier stand ein mit Kupfer überzogener Brandopferaltar. Er war 2,5 Meter lang und breit und 1,5 Meter hoch (2. Mose 27,1-8). Zwischen ihm und dem Eingang zum Heiligen befand sich ein Waschbecken. Hier wuschen sich die Priester für den Opferdienst oder vor dem Betreten des Heiligen (2. Mose 30,17-21).